Stefanie Engel
Elternbegleitung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie
Juli 2024
Stefanie Engel hat 2020 die Weiterqualifizierung zur Elternbegleiterin besucht und 2023 an der Netzwerkkonferenz ElternChanceN in Berlin teilgenommen. Sie ist in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wurzen tätig. Wir blicken auf Ihre Eindrücke und Erfahrungen als Elternbegleiterin im ländlichen Raum.
Sie arbeiten als Elternbegleiterin in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, was hat dazu geführt?
Seit 2017 arbeite ich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und begleite von Beginn an Eltern, deren Kinder bei uns in Therapie sind. Dieses sensible Arbeitsfeld hat mich dazu bewogen mich intensiv mit Elternbegleitung zu befassen. Für mich war es wichtig, mein Wissen, meine fachliche Kompetenz und meine Perspektive dafür gezielt auszurichten. Die Qualifizierung war der Grundstein für mein heutiges Arbeitsspektrum.
Seit März 2024 habe ich intern meinen Bereich gewechselt und bin in der Institutsambulanz tätig. Dabei liegt der Fokus gezielt auf den Eltern. Dieses erweiterte Spektrum unseres Angebotes wird sowohl vom Team als auch von den Eltern positiv angenommen. Die Zusammenarbeit verschafft ein schnelleres und umfassenderes Ergebnis und wirkt sich ebenfalls auf den Therapieerfolg der Kinder und Jugendlichen aus.
Das Umdenken in unserem Setting, auch die Eltern gezielt in den Fokus zu nehmen und zu begleiten, ist in der sich zunehmend wandelnden mit Stress verbundenen Zeit fast unabdingbar geworden. Umso mehr freut es mich, dass ich dieses Setting für Eltern und Familien anbieten darf.
Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie in der Elternarbeit im ländlichen Raum (im Vergleich zu städtischen Gebieten)?
Eine Herausforderung ist die Anbindung an unsere Klinik. Der ÖPNV ist gut ausgebaut, allerdings von kleinen Dörfern doch noch schwer zu erreichen. Die Anreisezeit beträgt in einigen Fällen oft eine Stunde, dies können Eltern oft nur schwer abdecken. Unser Einzugsgebiet ist sehr groß und auch über zwei Landkreise verteilt. Ich selbst bin unterwegs und besuche Schulen, Kindergärten oder auch die Eltern zu Hause. Positiv daran ist, dass wir einen umfassenden Einblick in die Lebenswelt der Familien erhalten und so gezieltere Begleitung anbieten können. Auch die Herausforderungen haben ihr Gutes.
Die Zusammenarbeit mit den Ämtern ist aufgrund der aktuellen personellen Lage ebenfalls eine Hürde, die wir versuchen mit Anlauf und stetiger Kommunikation zu überspringen.
In den Schulen nehme ich aktuell eine zunehmend positive Veränderung wahr. Die Wichtigkeit von Sozialarbeiter:innen in Schulen wird hier bei uns zunehmend erkannt, somit gelingt uns da auch ein besserer Austausch.
Inwiefern haben sich die Bedürfnisse und Anliegen der Eltern, mit denen Sie arbeiten, in den letzten Jahren verändert, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung?
Bedürfnisse und Anliegen sind manchmal schwer zu trennen oder sie gehen sehr weit auseinander. Irgendwo dazwischen liegt wohl das Geheimnis. Eltern kommen häufig mit dem Wunsch zu mir, dass alles wieder gut werden soll. Dies ist sowohl ein Bedürfnis und zugleich auch ein Anliegen.
Häufig erlebe ich eine große Skepsis, wenn Eltern das erste Mal in mein Setting kommen. Zum einen kommt dies aus Vorerfahrungen die Eltern mit Helfersystemen gemacht haben, zum anderen aus Unsicherheiten was da auf sie zukommt.
Die Schnelllebigkeit und gesellschaftliche Entwicklung lassen große Unsicherheit bei Eltern aufkommen. Das Zusammenspiel von Familie, eigenen Ressourcen und gesellschaftlichen Thematiken sind für Familien in unserem Bereich oftmals nur bedingt zu kombinieren bzw. zu schaffen. Dies versuche ich zu entschleunigen und Eltern Raum und Zeit zu geben. Unabdingbar ist dabei Eltern psychoedukativ zu begleiten.
Wie arbeiten Sie mit Eltern?
Eltern in meinem Bereich sind oftmals überlastet und erschöpft, kraftlos und hilflos. Um Eltern eine gute Basis bieten zu können, versuche ich eine positive Sicht auf ihre Lebenswelt herzustellen und erstmal die „goldene Brille“ ihnen aufzusetzen. Mir ist wichtig, dass Eltern trotz aller Herausforderungen auch ihre familiäre Stärke wieder erblicken und nutzbar machen können.
Ich bin praktisch veranlagt und dies spiegelt sich auch in meinem Arbeitsalltag wider. Ich bemühe mich Elternbegleitung erlebbar, aktiv und vor allem alltagstauglich anwendbar zu machen. Für mich sind dies wichtige Aspekte um Eltern zu begleiten und dabei Ressourcen, Kompetenzen und Leichtigkeit in schwere Themen einfließen zu lassen.
Gemeinsame Interaktionen mit der gesamten Familie sind ebenfalls ein wichtiger Bestandteil meines Arbeitsalltages. Dabei geht es in erster Linie um Spaß am gemeinsamen Tun, das Wiedererleben von Fröhlichkeit und auch das Begleiten von Herausforderungen in der Familie und wie sie damit umgehen. Dabei spielt die dialogische Haltung eine prägnante Rolle. Simple Impulse wie gemeinsame Fotos, Seifenblasen herstellen oder einfach mal wieder mit Kreide malen, können für Familien schon erste Impulse sein um wieder aufeinander zuzugehen.
Was hat die explizite Arbeit mit den Eltern in Ihrem Arbeitsplatz geändert?
Teil eines multiprofessionellen Teams zu sein und begleitend mit den Eltern zu arbeiten, während ihre Kinder in einem anderen therapeutischen Setting sind, bringt viele Vorteile. Wir arbeiten Hand in Hand und pflegen einen stetigen Austausch. Dies wirkt sich natürlich positiv auf den Verlauf der Therapie aus.
Durch den Wechsel in den ambulanten Bereich bin ich in meiner Zeit flexibler und kann mich den zeitlichen Bedürfnissen der Eltern besser anpassen. Dieses Zugehen wird von Eltern positiv gewertet. Im Team erfahre ich ebenfalls eine große Wertschätzung.
Können Sie eine Situation Ihrer Arbeit nennen, in der sich die Qualifizierung zur Elternbegleiterin wirklich bewährt hat?
Ich unterschreibe sofort, dass die Qualifizierung sich für meinen beruflichen und auch privaten Kontext auf jeden Fall bewährt hat. Ich nehme gerade am „Update Elternbegleitung“ teil und bin für die Auffrischung und die neuen Impulse sehr dankbar. Den Newsletter der Servicestelle ElternChanceN empfehle ich meinen Kolleg:innen immer gern. Oftmals werde ich um Rat und Impulse gefragt, die ich gern weitergebe.
Für mich stellt die Qualifizierung eine optimale Grundlage her, um mit Eltern und Familien in den Austausch zu kommen. Aus meinem täglichen Arbeitsprozess heraus zeigen mir kleinste Erfolge mit Familien, dass sich die Weiterentwicklung durch das Programm in jedem Fall lohnt.
Wie geht es für Sie als Elternbegleiterin weiter?
Ich sehe es als große Bereicherung für meine persönliche Entwicklung an, vieles aus der Qualifizierung anwenden und umsetzen zu können. Weiterhin nutze ich die immer wieder aktualisierten Angebote und Austauschrunden für Elternbegleiter:innen.
Interessant ist die Frage für mich, wie Elternbegleitung unabhängig von Institutionen als unterstützendes Angebot für Familien gestaltet werden kann. Natürlich spielt die finanzielle Abdeckung eine Rolle und darf nicht unterschätzt werden. Doch das ist Zukunftsmusik und ich möchte mich derzeit auf meine Rolle als Elternbegleiterin fokussieren, in der ich mich sehr wohl fühle.
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Informationen zu Online-Angeboten für Elternbegleiter:innen: https://elternchancen.de/elternbegleitung/online-angebote
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