Sabine Schmidt
Stadt, Land, Elternbegleitung
Juni 2023
Sabine Schmidt ist seit 2013 als Fachbereichsleitung FABI wohnortnah und Projektkoordinatorin bei der Katholischen Familien-Bildungsstätte Osnabrück e.V. tätig. Sie wohnt mit ihrer Familie südlich von Osnabrück und ist seit ihrem Sozialpädagogik-Studium mit vollen Herzen in der Bildungsarbeit im Einsatz.
Seit Juni 2022 koordiniert sie das Netzwerk Elternbegleitung in Stadt und Landkreis Osnabrück. Zu Ihrem einjährigen Jubiläum als Koordinatorin des ElternChanceN-Netzwerkes hat sie uns folgende Fragen beantwortet:
Erinnern Sie sich, wann Ihnen „Elternbegleitung“ zum ersten Mal begegnet ist?
Ich habe 2013 selbst an einer Elternbegleiter:innen-Qualifizierung in der Kath. FABI Osnabrück teilgenommen. Meine damalige Chefin und ich haben überlegt, dass die Inhalte sehr gut in mein damals neues Berufsfeld passen. So konnte ich mich nach der Jugend- und später Erwachsenenbildung jetzt im Bereich Familienbildung weiter spezialisieren. In der Qualifizierung hat mir gefallen, dass die Eltern im Fokus standen und vor allem die Haltung ihnen gegenüber. Weg vom defizitären Blickwinkel hin zum wertschätzenden und wohlwollenden Blick. Wir haben die Eltern als Experten für ihre Kinder wahrgenommen, was sie ja auch sind! Elternbegleitung als Wegbegleitung und nicht als Treffen von Profis und Laien. Diese Haltung habe ich versucht beizubehalten und weiterzuvermitteln in den letzten 10 Jahren.
Wie lange sind Sie schon für die Katholische Familien-Bildungsstätte Osnabrück e.V. tätig? Seit wann besteht das Netzwerk ElternChanceN in Stadt und Landkreis Osnabrück?
Bis 2008 war ich in der Jugendbildung tätig, dann sind meine beiden Kinder geboren und ich war als Referentin in der Erwachsenen- und Familienbildung unterwegs (als Coach, als PEKiP-Referentin, FuN-Trainerin, Griffbereit- und Rucksack-KiTa-Koordinatorin usw.).
Im Jahr 2013 hat der Landkreis Osnabrück entschieden, Familienzentren zu bilden (angedockt an inzwischen 38 KiTas). Die Familienzentren sollten jetzt die Eltern mehr mit in den Blick nehmen, was in der Kath. FABI Osnabrück das Tagesgeschäft ist. Daher gab es die Idee, dass ich diesen Prozess begleite und in die Familienzentren gehe, um sie bei der Familienbildung zu beraten und zu unterstützen. Seit 2013 bin ich fest angestellt bei der Kath. FABI.
Das Netzwerk unserer Elternbegleiter:innen (EB) besteht in verbindlicherer Form, seitdem wir das Projekt „Starke Netzwerke Elternbegleitung für geflüchtete Familien (SNEB)“ umsetzen konnten (2017) und es hat sich mit dem Programm ElternChanceN deutlich intensiviert! Davor sind die ausgebildeten Elternbegleiter:innen der Region in ihren Einrichtungen „verschwunden“, haben dort mit Sicherheit tolle Multiplikator:innenarbeit geleistet, waren aber ansonsten kaum sichtbar.
Seit wann sind Sie als Koordinatorin im Netzwerk tätig? Was war in der Startphase besonders eindringlich und wichtig?
Ich war beim Projekt „Starke Netzwerke Elternbegleitung für geflüchtete Familien“ (2017-2021) von Anfang an als Koordinatorin tätig und habe am 01.06.2023 mein einjähriges Jubiläum als Koordinatorin des Netzwerkes ElternChanceN in Stadt und Landkreis Osnabrück gefeiert.
Wir konnten drei sehr gute Mitarbeiterinnen als Elternbegleiterinnen für das Projekt gewinnen, die an unseren beiden Standorten (ländlich im Landkreis Osnabrück und städtisch in der Stadt Osnabrück) tolle Arbeit machen. Sie waren alle drei sofort bereit, an der Elternbegleiter:innen-Schulung teilzunehmen und konnten dort viele Impulse für die Tätigkeit gewinnen. Wir verstehen uns als Elternbegleiter:innen-Team. Darüber hinaus hat eine der Elternbegleiterinnen (Landkreis) auf eigene Initiative hin weitere Elternbegleiter:innen der Umgebung ausfindig gemacht und trifft sich mit ihnen regelmäßig zum Austausch.
Beim vorherigen Projekt (SNEB) waren die ehrenamtlichen / nebenberuflichen pädagogischen Fachkräfte deutlich schwieriger für die EB-Qualifizierung zu motivieren. Es ist sehr gut, dass im ElternChanceN-Programm die Personalkosten besser ausgestattet sind und wir mit hauptamtlichen Fachkräften arbeiten können.
In der Startphase (und auch weiterhin) sind die Austauschrunden unter uns sehr wichtig, um mitzubekommen, wo die einzelnen Beteiligten stehen, wohin wir uns bewegen, wo es noch holprig ist und wo ein bisschen Motivationshilfe nötig ist, da unsere Zielgruppe einen längeren Atem braucht.
Das Netzwerk hat zwei Standorte – einen im Landkreis Osnabrück (in Ankum) und einen in der Stadt Osnabrück (Schölerberg und Innenstadt). Wieso ist es Ihnen ein Anliegen, Stadt und Landkreis abzudecken?
Wir arbeiten als Kath. FABI schon lange mit der Stadt Osnabrück und dem ländlichen (Flächen-)Landkreis Osnabrück zusammen. Die Menschen aus der Stadt kommen zu uns ins Haus. Die Menschen aus dem Landkreis begegnen mir unter anderem in den 38 Familienzentren und den Projekten (z.B. Gut ankommen in Niedersachsen), die wir unterstützen.
In der Stadt haben wir uns, nach einer Beratung mit dem Jugendamt der Stadt, für die die Drei-Religionen-Schule sowie die KiTa St. Johann entschieden, da sie bei uns im Quartier liegen und in einer Brennpunktgegend der Stadt (Innenstadt / Schölerberg). Die Eltern, die hier wohnen, erreichen wir nicht mit unseren Angeboten in der FABI, weil dort eher bildungsgewohnte Familien zu finden sind. Wir gehen also zu den Familien und erreichen sie so deutlich besser.
Im Landkreis haben wir Ankum (Samtgemeinde Bersenbrück) als Standort gewählt, da wir auch hier wissen, dass ein hoher Bedarf an Begleitung besteht. Zudem konnten wir durch ein anderes Projekt an einem anderen Ort der Samtgemeinde Bersenbrück schon seit einigen Jahren die Netzwerkarbeit intensivieren. Davon profitieren wir nun immens!
Inwiefern unterscheiden sich die beiden Standorte in Bezug auf die Familien und Angebote?
Die beiden Standorte unterscheiden sich durch die Strukturen des Wohnumfelds der Familien sowie durch die die Unterschiedlichkeit der Elternbegleiterinnen, die die Arbeit immer auch individuell prägen und durch persönliche Stärken bereichern.
Eine Gemeinsamkeit ist auf jeden Fall die Erfahrung an beiden Standorten, dass einen Fuß in die Tür der Schule zu bekommen ein „dickeres Brett“ ist als in der KiTa, wo ganz andere (Team-) Strukturen herrschen und die Kommunikationswege deutlich kürzer sind.
Wir haben eingeführt, dass die Elternbegleiterinnen gegenseitig hospitieren, um von den Erfahrungen und Eindrücken am anderen Ort zu profitieren. Immer wieder tauschen wir uns dazu aus, um voneinander zu lernen und uns gegenseitig zu bereichern.
Tolle Ideen für einen besseren Kontakt zu den Schul-Eltern sind zum Beispiel:
- Elternsprecher:innen der Schule im Elternbeirat treffen, da der Weg über die Lehrkräfte eher schwierig ist.
- Offene Cafés in den KiTas: so erreichen wir Eltern von Schulkindern, da diese z.T. Geschwisterkinder dort haben.
- Die Elternbegleiterinnen zeigen unermüdlich Präsenz bei Schulfesten
- Elterncafés während der Schulkinderanmeldung mit Button „Ich bin jetzt ein Schulkind“ und bei Elternsprechtagen.
- Kontakt zu den Eltern über die Schulplattform IServ.
- Der Kontakt zu den KiTa-Eltern funktioniert sehr gut über die KiTa App.
Worauf können Sie aufbauen und von bestehenden Netzwerken „Frühe Hilfen“ und „Kinderarmut“ profitieren?
Im Netzwerk Frühe Hilfen und Kinderarmut treffen wir auf viele Netzwerkpartner und haben so die Möglichkeiten zur Weitervermittlung der Eltern an andere Professionen (z.B. Schuldnerberatung, Frühförderung, Jugendamt usw.). Dienstwege werden kürzer und persönlicher, wenn man sich kennt.
Außerdem bereichern die Treffen den eigenen Horizont durch Austausch und Information. Wir lernen unsere Wirkungsräume besser kennen und erfahren, was schon angeboten wird, um Doppelstrukturen zu vermeiden.
Die Angebote Ihres Netzwerks ElternChanceN richten sich vorrangig an Familien mit Migrationshintergrund, mit geringem Erwerbseinkommen und/oder geringem Bildungsniveau. Wie werden die Familien auf Ihre Angebote aufmerksam? Wo sprechen Sie die Familien an?
Die Ansprache muss so niedrigschwellig wie möglich ablaufen. Am einfachsten ist das über unsere offenen Angebote wie Familienbistro, Offenes Elterncafé, Eltern-Kind-Turnen usw. Hier können die Familien erste Kontakt knüpfen, Vertrauen aufbauen, um sich dann im nächsten Schritt mit ihren Anliegen zu öffnen. Dafür zeigen unsere Elternbegleiterinnen immer wieder Gesicht und nähern sich vertrauensvoll an.
Auch aus unseren schon lange bestehenden Netzwerken (z.B. der Familientreff West der Kath. FABI) werden Eltern zu uns ins Projekt vermittelt. Ein vertrauensvolles Miteinander entsteht durch liebevolles Erinnern an unsere Angebote und an uns als Gesprächspartnerinnen, durch an die Hand nehmen, einen langen Atem sowie Motivation, um Familien zu begleiten und mitzunehmen.
Wer sind Ihre Netzwerkpartner und wie bzw. mit welchen Partnern planen Sie das Netzwerk über die Projektlaufzeit zu erweitern? Wie ist die Netzwerkarbeit vor Ort organisiert - finden bspw. regelmäßig Arbeitstreffen statt?
Unsere Hauptnetzwerkpartner sind zwei Grundschulen (Grundschule Ankum und Drei-Religionen-Schule in Osnabrück) sowie zwei KiTas (Kita im Dorfe in Ankum und KiTa St. Johann in Osnabrück). Außerdem die Samtgemeinde Bersenbrück. Als Koordinatorin treffe ich mich regelmäßig (etwa alle 3-4 Monate) jeweils vor Ort mit der Kita und der Schule (und Samtgemeinde) und außerdem sehr regelmäßig (etwa alle 1-2 Monate) mit allen drei Elternbegleiter:innen.
Wir besprechen wie und in welche Richtung wir das Netzwerk erweitern wollen. So sind folgende Netzwerkpartner dazu gekommen, die wir aber bisher einzeln getroffen haben:
- Jugendämter
- Jobcenter
- Kirchengemeinden
- Vereine für Menschen mit Fluchterfahrung (z.B. Eleganz, Exil)
- Weitere Schulen und KiTas
- VAMV (Verein für Alleinerziehende)
- Frühförderung
- Kinder- und Jugendtherapeuten
- Volkshochschulen
- Integrationshelfer
Ziel für die Projektlaufzeit ist die Vernetzung untereinander, das Wissen voneinander und das Nutzen von Synergieeffekten.
Bei der Umsetzung des ElternChanceN-Programms vor Ort sind die Kommunen und insb. kommunale Entscheidungsträger von zentraler Bedeutung. Wie arbeiten Sie mit der Kommune zusammen und was tun Sie, um Ihr Projekt vor Ort den Entscheider:innen bekannt zu machen?
Wir haben an beiden Standorten schon in der Antragsphase die Kommunen mit einbezogen. Sie haben beratend zur Seite gestanden, wo wir das Projekt verorten können und ihre Unterstützung zugesagt.
So ist in der Samtgemeinde Bersenbrück bei jedem unserer Netzwerk-Treffen auch eine Mitarbeiterin der Samtgemeinde involviert. Außerdem nimmt unsere EB dort an Sitzungen und Veranstaltungen der Kommune teil. Sie spricht immer wieder mit Entscheidungsträgern und berichtet von ihrer wertvollen Arbeit.
Das Jugendamt ist leider nicht sehr interessiert, was aus unserer Sicht an der personellen Besetzung liegt und sich evtl. mit der Umstrukturierung in den nächsten Jahren ändern könnte. In Osnabrück haben die Elternbegleiter:innen erstmal das Netzwerk rund um das Quartier kennengelernt und guten Kontakt zur Quartiersmeisterin der Stadt Osnabrück (für die Johannisstraße) aufgebaut. Bekannt machen wir das Projekt bei den Entscheider:innen durch persönliche Gespräche, Beteiligung an Veranstaltungen und Teilnahme an Sitzungen, die für uns relevant sind.
Zum Schluss hätte ich noch einen Wunsch: Es wäre für alle Familien in Deutschland so schön, wenn in jeder KiTa und Grundschule eine Stelle Elternbegleitung vorhanden wäre. Ich denke, das würde KiTa und Grundschule und Familien entlasten und präventiv wirken.