Reinhard Grohmann

März 2021

Reinhard Grohmann, Vater von sechs Kindern und gelernter Krankenpfleger, leitet als Dipl.-Theologe das pädagogische Team der CVJM Familienarbeit Mitteldeutschland e.V. (Halle, Sachsen-Anhalt). Als sogenannter Elterntrainer ist er mitverantwortlich für die Unterstützung von Müttern und Vätern, damit sie ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können. Weiterbildung von Fachkräften in der sozialen Arbeit ist ein weiteres wachsendes Tätigkeitsfeld. Gern reist er durch das Land und unterstützt Teams in Kitas, Schulen und Kirchengemeinden auf der Suche nach Ideen und Lösungen für ihre individuellen täglichen beruflichen Herausforderungen – besonders im Bereich der gelingenden Kommunikation im Team einerseits und und mit Eltern andererseits. Eines seiner Steckenpferde ist das Training im Kurzgespräch und das Stellen guter Fragen.
Als Referent der Qualifizierung zum/r Elternbelgeiter:in ist er bereits seit 10 Jahren tätig. Aktuell gibt er mit anderen Kolleg:innen, die als Referent:innen im Rahmen des ESF-Bundesprogramms Elternchance II Elternbegleiter:innen qualifizieren, digitale Kurse im Rahmen eines Online-Austausches zu ausgesuchten Themen der Elternbegleitung.

Was hat Sie damals bewegt, Elternbegleiter:innen zu qualifizieren?

Mich hat es gefreut, dass die Arbeit mit Eltern durch das Vorläuferprogramm von ESF-Bundesprogramm „Elternchance II – Familien früh für Bildung gewinnen“ dem Bundesprogrammt „Elternchance ist Kinderchance“ ein größeres Schwergewicht bekommen hat. Mit einer Kollegin hatte ich einen der ersten Qualifizierungskurse umgesetzt. Viele Fragen der künftigen Elternbegleiter:innen konnten wir noch gar nicht beantworten, weil vorher noch keiner darüber nachgedacht hatte. Es war Neuland, was wir betreten haben und das hat mich besonders gereizt. Aus einem eingereichten und bewilligten Konzept etwas Lebendiges und Nachhaltiges zu gestalten, so dass alle mit guten Ideen und einer großen Motivation für die Elternarbeit nach Hause fahren konnten.

Sie sind seit lange Zeit in der Elternarbeit aktiv. Welchen Herausforderungen müssen sich die Eltern (heutzutage) stellen?

Die Unsicherheit, was denn die „richtige“ Erziehung ist, nimmt zu. Es gibt dazu viele Entwürfe, die sich zuweilen diametral gegenüberstehen. So müssen Eltern umso mehr ihre eigenen Antworten finden. Die Welt dreht sich immer schneller und Eltern müssen schauen, dass sie in diesem Strudel nicht mitgerissen werden, sondern ihr Zentrum als Familie gut justieren. Gleichzeitig braucht es das Bewusstsein, dass für die Erziehung von Kindern die Eltern nicht allein da sind, sondern es dazu ein ganzes Dorf braucht, wie es eine schöne Redewendung sagt. Und sich als Familie nicht als Nabel der Welt zu halten, sondern sich in dieses Dorf mit einzugliedern, ist eine große Herausforderung. Es geht darum, ein gutes Maß zu finden zwischen der eigenen Verantwortung für die Kinder, diese auch selbstbewusst wahrzunehmen und sich einzugliedern in unsere Gesellschaft.

Welche Entwicklungen in den Familien sehen Sie – was hat sich in den letzten 10 Jahren geändert?

In den letzten Jahren drängte sich vehement ein Konkurrent in das Familienleben. Ein Konkurrent um Zeit, Spannung, Aufmerksamkeit und Gemeinschaftssinn. Es ist die digitale Welt an Kommunikationsmöglichkeiten, Spielen und durchaus sinnvollen digitalen Anwendungen. Diese Welt entwickelt sich sehr schnell und Eltern sind da nicht immer vorn dran mit dem Wissen dazu. Die Herausforderung ist, dass Eltern an dieser Stelle nicht durch den großen Druck der Kinder aber auch der Umgebung  ihre Erziehungsverantwortung aus der Hand geben, sondern Sorge tragen, dass Kinder einen angemessenen Umgang mit digitalen Medien lernen. Da braucht es Klarheit, Festigkeit, auch Lust, sich mit den Medien zu befassen, und eine gute Führungshaltung durch die Eltern. Sie sind die Coaches ihrer Kinder und nicht die besten Freunde. Und das sollte sich in der Begleitung der Kinder niederschlagen. Letztlich geht es darum, dass die Kinder diese neuen Möglichkeiten nutzen und nicht den aus ihnen resultierenden Sogwirkungen schutzlos ausgeliefert sind. Und dieses Bewusstsein beginnt, wenn beim gemeinsamen Abendessen das Handy sich meldet. Greifen wir zum Smartphone oder genießen wir die gemeinsame Zeit?

Mit welchen Themen müssen sich die Elternbegleiter:innen zukünftig noch stärker auseinandersetzen?

Wie es scheint hat sich die Tatsache, dass die Herkunft maßgeblich für die Bildungsverläufe von Kindern ist, auch in den letzten Jahren nicht wesentlich geändert. An dieser Stelle soll ja Elternbegleitung vor allem ansetzen. Und hier braucht es verstärkte Bemühungen, dass die guten Ansätze und kreativen Ideen der Elternbegleiter:innen weiter multipliziert werden. Es ist immer wieder neu zu buchstabieren, wie wir Zugänge zu Familien gestalten, die es schwer mit unserem Bildungssystem haben. Dazu gehören ja nicht nur Familien, die aus anderen Ländern und Kulturen kommen, sondern auch die Familien, die hier ihre Wurzeln haben und trotzdem auf keinen grünen Zweig kommen. Hier braucht es meiner Ansicht nach in den nächsten Jahren verstärkte Anstrengungen. Und vielleicht kann es ja gelingen, dass Elternbegleiter:innen Verbindungen und Kontakte herstellen zwischen Lebenwelten und Milieus, die sonst kaum Berührungspunkte haben. Dass nicht so viel über „die anderen“ geredet wird, sondern miteinander Erfahrungen ausgetauscht werden, wie es uns gelingen kann, unsere Kinder – egal woher sie kommen – gut ins Erwachsenenleben zu begleiten.

Welche Möglichkeiten und Chancen bietet die Digitalisierung – was hat sich bei Elternbegleiter:innen bereits etabliert? Was ist nicht sinnvoll oder hilfreich?

Die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt bei der Umsetzung digitaler Kommunikation und Bildungsformate. Entfernungen spielen plötzlich keine Rolle mehr und wir entdecken immer mehr auch methodische Möglichkeiten für Workshops und Seminare, die wir – wie zum Beispiel das Online Austauschformat im Rahmen von Elternchance II – online durchführen. Etabliert hat sich, wenn man davon nach knapp 5 Monaten reden kann, im Bereich der Weiterbildung von Elternbegleiter:innen das Einbringen aktuell relevanten  Themen und der Austausch darüber. Es ist gut möglich, ein Thema rund um Familie und Elternbegleitung zu präsentieren und die Teilnehmenden darüber in einen guten und fruchtbringenden Austausch zu bringen. Da ist aus meiner Sicht noch deutlich Luft nach oben über die jetzigen 90-Minuten-Formate hinaus. Meine Erfahrungen auch mit längerdauernden Workshops sind sehr gut. Das könnten wir gut im Bildungsbereich einsetzen. So ist das digitale Format eine wichtige und hifreiche Ergänzung im Bildungsbereich – selten aber ein Ersatz für die persönliche dreidimensionale Begegnung mit allen Sinnen.

Das Bildungsniveau scheint bei der Inanspruchnahme digitaler Bildungsformate eine entscheidende Rolle zu spielen. Für Menschen, die eher einen einfachen Bildungsweg einschlagen, ist der persönliche Kontakt wichtig für den Lernerfolg. Da braucht es einen leibhaftigen Menschen, der die Dinge erklärt und die Fragen beantwortet. Ein Informationaustausch ist schnell gemacht und profitiert von digitalen Medien, aber Lernen geht anders. Es reicht nicht aus, bildungssystemferne Familien mit Endgeräten auszustatten. Es braucht Menschen, die ihnen begegnen.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Eine Welt ohne Elternbegleitung ist ein farbiger, denn ohne Elternbegleitung werden die Lebenswelten weniger gemischt und bleiben für sich.

Weitere Informationen Arbeit des Vereins finden Sie hier:https://cvjm-familienarbeit.de

 

 

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