Nadine Heinemann

Elternbegleiter:innen haben einen schnellen und wertschätzenden Zugang zu Familien in Überforderungssituationen

September 2022

Nadine Heinemann ist Diplom-Pädagogin und koordiniert seit 2017 Elternbegleiter:innen im Kreis Lippe sowie das Projekt Internationale Eltern und Kind Gruppen für zugewanderte Familien. Sie ist Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes im Rahmen der Frühen Hilfen.

Was macht Elternbegleiter:innen für die Familien und den Kreis Lippe so wichtig?

Elternbegleiter:innen sind seit 2013 in den Frühen Hilfen im Kreis Lippe fest verankert. Sie  agieren als fester Bestandteil der Elternunterstützung unter dem Dach der kommunalen Präventionsketten.

Die qualifizierten Elternbegleiter:innen bieten schnelle und niederschwellige Unterstützung und arbeiten präventiv und freiwillig im Kontext der Familie. Dabei hat sich die Elternbegleitung als mobiles und daher sehr flexibles auf die Familie zugeschnittenes Angebot etabliert und bewährt. Dies bedeutet, dass die Elternbegleiter:innen im Kreis Lippe zum Beispiel im Rahmen eines Hausbesuches Unterstützung bieten, aber auch Familien zu Terminen begleiten können, z.B. zu Elternsprechtagen in Schule oder Kita, zum Jobcenter, zur Ausländerbehörde oder zur Schwangerschafts- und Konfliktberatungsstelle.

In der Praxis heißt dies auch, dass Elternbegleiter:innen, die sich flächendeckend in der sehr ländlichen Struktur des Kreises Lippe bewegen, ihr seit Jahren entwickeltes Netzwerk im Rahmen der Jugendhilfe nutzen. Somit kann gewährleistet werden, dass betroffene Familien, mit kurz- oder mittelfristigen Überforderungsproblematiken, schnell und unbürokratisch Unterstützung angeboten werden kann. Dabei ist es unabhängig, welcher Herkunft sie sind. Familien mit Kindern bis maximal zum 14. Lebensjahr sind die Zielgruppe dieses Angebots.

Elternbegleitung als Instrument der Frühen Hilfen

Darüber hinaus profitiert die hiesige Elternbegleitung von einem großen Netzwerk an Kooperationspartnern, wie z. B. der Familienberatungsstelle, der Schulpsychologischen Beratungsstelle, dem kommunalen Integrationszentrum des Kreises Lippe oder aber dem Jobcenter Lippe. Hier finden regelmäßige Treffen zum Austausch statt. Des Weiteren besteht eine flächendeckende Netzwerkarbeit zu externen freien Jugendhilfeträgern. Die Kooperationspartner agieren in einer Wechselwirkung zueinander.

Darüber hinaus sind die qualifizierten Elternbegleiter:innen in der Lage, mit den Familien gemeinsam eine umsetzbare Lösungsstrategie zu erarbeiten und eine Familie zum Beispiel an weitere Unterstützungsangebote anzubinden. Gleichzeitig begleiten sie die Familie weiterhin und halten Kontakt. So haben alle Kooperationspartner die Möglichkeit, eine Familie durch die Koordination Elternbegleitung – angesiedelt bei den Frühen Hilfen – zu „erhalten“, aber auch einen Auftrag an eine:n Elternbegleiter:in zu „erteilen“. Schnittstelle für die Auftragsannahme und Vergabe ist dabei immer die Koordination bei den Frühen Hilfen!

Wie sichern Sie die Qualität der Elternbegleitung und wie werden die Elternbegleiter:innen unterstützt?

Alle im Kreis Lippe tätigen Elternbegleiter:innen sind qualifiziert. Zuerst durch die Qualifizierung „Elternchance ist Kinderchance“, später dann im Rahmen des ESF Bundesprogramms „Elternchance II – Familien früh für Bildung gewinnen“.

Unsere Elternbegleiter:innen arbeiten auch nicht freischwebend im Kreis Lippe, sondern sind eng gebunden an Absprachen mit der Koordination der Frühen Hilfen. So werden externe sowie interne Anfragen mit der Elternbegleitung zunächst vorbesprochen und klare Aufgabenstellungen definiert.

Von der Auftragsformulierung bis zur Zielvereinbarung

Die Elternbegleiter:innen erhalten durch die Koordination bei den Frühen Hilfen eine „Fallanfrage“ und nehmen mit einer klaren Auftragsformulierung mit den Familien Kontakt auf. Dabei kommt ein Erstgesprächsbogen zum Einsatz.

Nach dem Erstgespräch mit der Elternbegleiter:in werden die Vorstellungen der Familie bzgl. Unterstützungsmöglichkeiten mit der Koordination bei den Frühen Hilfen abgeglichen, sofern das schriftliche Einverständnis der Familie hierfür gegeben ist. Dies ist notwendig, um den Auftrag an den/die Elternbegleiter:in klar zu skizzieren.

Darüber hinaus vereinbart der/die Elternbegleiter:in mit den Familien konkrete Ziele, wie sich die aktuelle Lebenssituation verbessern könnte. Dabei ist die Mitwirkung der Familie unter Berücksichtigung der Selbsthilfepotentiale unablässig.

Neben den eng gebundenen „Fallabsprachen“ zwischen Elternbegleiter:innen und der Koordination sind regelmäßige Arbeitskreise zur kollegialen Fallberatung angesetzt. Innerhalb dieser Arbeitskreise gibt es regionale Schulungseinheiten, z. B. zum Thema Kinderschutz und Kindeswohlgefährdungen, Eingliederungshilfe, Bildung und Teilhabe, sowie Supervision.

Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich im Arbeitsalltag konfrontiert, welche Lösungen haben Sie gefunden?

Besonderes Augenmerk bzw. Herausforderung im Rahmen der Elternbegleitung sehe ich für mich in zunächst zwei wesentlichen Aspekten, die unmittelbar miteinander zusammenhängen:

  1. Datenschutz in der Fallabsprache
  2. Transparenz im multiplen Helfersystem in den Familien

Ohne das schriftliche Einverständnis der Familien darf keine Rücksprache mit der Koordination gehalten werden. Dennoch ist eine Absprache im gesamten Helfersystem von besonderer Bedeutung. Nicht immer können Familien klar benennen, welche Hilfe oder Beratungsangebote sie bereits aus dem sozialen Unterstützungssystem erhalten. Dies können unter Umständen Mitarbeiter:innen des Allgemeinen Sozialen Dienstes, Sozialpädagogische Fachkräfte, Ehrenamtlich Tätige sein.

Für die Fallarbeit in der Elternbegleitung ist sehr wichtig, zu erfahren, wer genau „die Person“ ist, die z.B. vom Jugendamt, vom Sozialamt, von der Gemeinde, von der Familienberatung, von der Servicestelle Einwanderungsmanagement in der Familie tätig ist.

Hierfür wurde eigens für die Fallabsprache eine Schweigepflichtentbindung erstellt, um Fallabsprachen mit der Koordination Elternbegleitung und evtl. darüber hinaus mit weiteren notwendigen Fachdiensten austauschen zu dürfen. Das Wissen und Einverständnis der betroffenen Familien werden immer vorher hergestellt.

Eine klare Absprache unter den Fachdiensten und das „Ziehen an ein und demselben Strang“ sind für die Problemlösung in der Familie von großer Bedeutung und das sollte maßgeblich betrachtet werden.

Durch unser bereits seit 2013 bestehendes Angebot ist die Arbeit unserer Elternbegleiter:innen weitläufig bekannt, so dass ein positiv geprägtes Vertrauensverhältnis zwischen allen Beteiligten besteht. Die Familien haben durch den Einsatz einer Elternbegleitung nicht das Gefühl, das „Jugendamt“ kommt vorbei und kontrolliert. Vielmehr finden die Elternbegleiter:innen einen schnellen und wertschätzenden Zugang zu den Familien, können so sehr fix eine Vertrauensebene herstellen. Den Familien ist bekannt, dass das Angebot einer Elternbegleitung freiwillig ist und jederzeit beendet werden kann.
Das Angebot der Elternbegleitung steht allen Familien, die kurzfristige Unterstützung benötigen zur Verfügung. Dabei geht es primär um Familien mit Kindern bis zum 14. Lebensjahr. Dies können deutsche Familien, Familien mit Migrationshintergrund oder aber auch Familien mit Fluchterfahrung sein.

Den Zugang zur Elternbegleitung erhalten die Familien überwiegend durch Kindergärten, Familienzentren, Schulen oder aber durch unsere o.g. Netzwerkpartner.

Schutz der Elternbegleiter:innen durch professionelle Distanz und kollegiale Fallberatung

Eine weitere besondere Herausforderung ist der Schutz der Elternbegleiter:innen selbst, der durch das flexible Angebot besonders wichtig ist. Die Erstgespräche finden hauptsächlich bei den Familien zu Hause statt. Es kann aber auch vorkommen, dass die Elternbegleiterin z.B. eine schwangere Frau zur Kreissaalbesichtigung im eigenen PKW begleitet oder ein gemeinsamer Termin im Kindergarten stattfindet. So stellen Hausbesuche oder Begleitungen im eigenen PKW auch in Pandemiezeiten eine besondere Herausforderung dar. Des Weiteren entpuppen sich Beratungssituationen auch im häuslichen Umfeld oft anders als angenommen, z.B., wenn Gespräche als Einmischung in die Privatsphäre interpretiert werden oder bspw. häusliche Gewalt ein Thema ist.

Insbesondere der Anspruch der Niederschwelligkeit und Abgrenzbarkeit im Rahmen der Elternbegleitung muss stets im laufenden Prozess im Auge behalten werden.

Unsere Elternbegleiter:innen arbeiten niederschwellig und präventiv. Sollte ein Fall im Rahmen der Elternbegleitung zu viele und schwerwiegende Problemlagen mit sich bringen, beenden wir die Elternbegleitung, in dem wir dem Bedarf angepassten Unterstützungsangebote weitervermitteln, z.B. Therapeutische Angebote, Beratung durch den Allgemeinen Sozialen Dienst oder durch die Familienberatungsstelle etc..

Durch die enge Anbindung an die Koordination wird hier sehr genau hingeschaut, unter anderem auch um Überforderungsproblematiken bei unseren Elternbegleiter:innen zu verhindern. Auch wenn ein Fall zunächst unproblematisch erscheint, kann es sich doch sehr wohl als „Bienennest“ erweisen mit einem Strauß schwerwiegender multipler Problemlagen.

Die Elternbegleiterin muss an dieser Stelle in der Lage sein, mit professionellem Abstand in der Familie zu agieren und objektiv bleiben. Sie hat ein offenes Ohr und ist empathisch. Gleichzeitig grenzt sie sich von den Problemlagen ab, ohne selbst betroffen oder belastet zu sein. Im Fokus steht daher immer die persönliche Abgrenzbarkeit, die in der Fallbesprechung mitbetrachtet werden sollte.

Welche Perspektive sehen Sie für die Elternbegleitung, gibt es Wünsche zur Weiterentwicklung?

Elternbegleitung hat sich als sehr positiver und wirksamer Bestandteil der öffentlichen Jugendhilfe des Kreises Lippe manifestiert.

Viele unserer lippischen Familien haben bereits sehr gute und individuelle Unterstützung erhalten. Des Weiteren sind Elternbegleiter:innen flexibel einsetzbar und greifen im Rahmen der Jugendhilfe oft dort, wo kein anderes Unterstützungsangebot passt.

Elternbegleitung in Rahmen der öffentlichen Jugendhilfe – dem Jugendamt – anzusiedeln schafft Möglichkeiten, präventiv und ohne bürokratischen Aufwand Familien zu unterstützen und schafft die Möglichkeit eines internen Austausches im Jugendamt auf Augenhöhe.

Die Grundsätze der Freiwilligkeit, Niederschwelligkeit und Mitwirkung fördern die Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung innerhalb der familiären Strukturen. Realisierbar ist dies meiner Erfahrung nach mit einem ressourcenorientierten Blick auf die Familien.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre dies eine Verstetigung und flächendeckende Ausweitung des Projektes.

 

 

 

 

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