Manuel Scharein
März 2022
Manuel Scharein arbeitet als Sozialarbeiter im Projekt „Elternbegleitung an Grundschulen“ in Berlin Spandau. Er und vier weitere Elternbegleiter:innen sind bei der Evangelischen Johannesstift Jugendhilfe gGmbH angestellt. Das Programm wird vom Berliner Senat seit August 2020 gefördert. Das mehrsprachige Team, teils ebenfalls mit Migrationshintergrund, unterstützt Eltern in ihren Alltagsherausforderungen auf Deutsch, Arabisch, Russisch, Rumänisch, Polnisch, Niederländisch und Englisch.
Was für ein Ort sollte eine Grundschule - jenseits des formellen Lernens - in der idealen Vorstellung Ihrer Meinung nach sein – und was können Sie als Elternbegleiter in Ihrem Team beitragen?
Schule und insbesondere Grundschule ist eine bedeutende Sozialisationsinstanz für Kinder. Kinder verbringen einen sehr großen Teil ihrer wöchentlichen Zeit in der Schule, hier treffen sie Gleichaltrige, erproben sich in Gruppen und nähren ihre Interessen.
Dazu gehören auch Konflikte und Missverständnisse, die mit Mitlernenden, Lehrpersonen und anderen Mitarbeitenden an der Schule vorkommen. Dies gehört zu unserem Alltag und stellt ebenfalls ein Lernfeld für die Kinder dar. Zu wünschen wäre es nun an dieser Stelle, dass Eltern und Schule Raum haben, sich gegenseitig zuzuhören, um die jeweiligen Sichtweisen anzuerkennen. An diesem Punkt sind wir die Brücke und schaffen eine Möglichkeit des Dialogs.
Welche Angebote setzen Sie konkret um und wie ist das Feedback der Eltern, der Lehrkräfte, der Hort- und Schulleitung?
Unser Angebot der „Elternbegleitung an Grundschulen“ in Spandau - also das Angebot, Eltern in der Kommunikation mit der Schule und Behörden zu unterstützen, Hilfen und passende Ressourcen im Sozialraum zu finden und Eltern zu vernetzen - richtet sich an alle Eltern mit Grundschulkindern in Spandau – unabhängig von der jeweiligen Grundschule.
Ziel unseres Elternbegleitungsangebotes ist sowohl eine Stabilisierung der Familien in ihren vielfältigen Problemlagen als auch eine nachhaltige Erweiterung der Ressourcen im Sozialraum. Den Familien gibt dies die Möglichkeit aktiv ihre Probleme anzugehen und erhält ihre Autonomie durch selbstbestimmtes Handeln, auch für zukünftige Problemlagen.
Ein zweiter Teil unseres Projekts besteht in der intensiven Zusammenarbeit mit fünf Kooperationsschulen in Spandau. Hier gehören u.a. zu unserem Angebot die Unterstützung bei Elternabenden, temporäre Sprechstunden und die Präsenz zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr, wenn mit erhöhten Anfragen von Eltern zu rechnen ist. Dies ist z. B der Fall zu Schuljahresbeginn nach den Sommerferien, wenn neue Kinder in die Schule kommen und auch für die Eltern vieles neu ist und sie Fragen zum Hort und den Betreuungszeiten, der Anmeldung zum Mittagessen oder anderen Dingen haben. An dieser Stelle muss dann oft auch noch die eine oder andere bürokratische Angelegenheit geklärt werden, wobei die Eltern dann von uns unterstützt werden, wenn sie das wünschen. An dieser Stelle fungieren ich und meine Kolleginnen und Kollegen auch häufig als Kulturmittlerinnen und Kulturmittler. Das Feedback der Eltern, Lehrkräfte und anderen Mitarbeitenden an den Grundschulen ist dabei durchweg positiv.
Manchmal kann man sich die Problemkonstellation der Familien wie ein Mobilé vorstellen, dass blockiert ist – wo also einzelne Teile nicht mehr frei schwingen können. In einem konkreten Fall hatte eine Mutter einen sehr unterschiedlichen Verdienst im Laufe des Jahres. Dies hatte Auswirkungen auf den Leistungsbezug der Familie vom Jobcenter, so dass sie auf einmal keine Leistungen mehr bekamen, aber immer noch die finanzielle Unterstützung dringend benötigten. Das restliche Einkommen der Mutter war zu gering für den Lebensunterhalt der Familie. Wenn wir nun die anderen „Teile des Mobilés“ betrachten, konnten diese nicht mehr frei mitschwingen: Die Unterstützung für Lernmaterialien und Lernförderung der Kinder fiel weg sowie die finanzielle Unterstützung für kostenpflichtige Aktivitäten der Schule wie Klassenfahrten, was die Kinder de facto von solchen Veranstaltungen ausschloss. Und auch noch weitere Dinge hingen an dem Leistungsbezug vom Jobcenter. Die Familie und die Behörde schafften es nicht, hier eine Klärung der Sachlage zu bekommen. Das Hin und Her mit der Behörde erschöpfte die Familie sehr und sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. In der Zusammenarbeit mit der Familie schafften wir es dann, die Sachlage mit der Behörde zu klären und die Familie wurde wieder finanziell unterstützt. Ein Teil des Mobilé konnte entwirrt werden und gab so die anderen Teile wieder frei zum Schwingen, um wieder auf das anfangs erwähnte Bild zurückzukommen.
Warum sind Sie als Elternbegleiter aus Ihrer Sicht ein wichtiger Ansprechpartner für Familien? Können Sie bereits von (positiven) Wirkungen an den von Ihnen betreuten Grundschulen berichten?
Die Entwicklung von Kindern ist stark durch die sozialen, persönlichen und finanziellen Ressourcen der Eltern beeinflusst. Diese wiederum sind abhängig von der Lebenssituation der Familie, dem sozialen und finanziellen Status sowie dem Bildungsstand und weiteren Faktoren. Auch wenn es eine vielfältige Auswahl an Hilfen und Angeboten im Raum Spandau gibt, so haben nicht alle Eltern den gleichen Zugang zu diesen Ressourcen.
Die Zusammenarbeit mit den Eltern kommt oft über das ein oder andere offensichtliche Problem oder Hindernis zustande. Wenn wir einander kennenlernen, also die Eltern und die Elternbegleiterinnen und Elternbegleiter, dann gehört es zu unseren Grundprinzipien, den Eltern das Gefühl zu geben, anerkannt und gehört zu werden. Aus dieser „Einladung zum Dialog“ ergeben sich dann oft Situationen in denen die Eltern von Dingen berichten, die sie gerade besonders belasten und die auch der Befriedigung von grundlegenden Bedürfnissen im Wege stehen.
So kann es vorkommen, dass eine Familie zu uns kommt und zunächst Unterstützung bei einem Antrag möchte. In der weiteren Zusammenarbeit berichtet die Familie dann z.B. von einer großen Schuldenproblematik oder dem bedrohlichen Streit mit dem Vermieter. Dinge also, die sie sehr belasten, welche sie aber vielleicht noch niemanden anvertraut haben.
Als positive Wirkung an den Grundschulen, mit denen wir zusammenarbeiten, können wir davon sprechen, dass wir auch als Ansprechpartner bekannt sind für augenscheinlich „festgefahrene“ Situationen oder wenn von Schulseite geschildert wird, dass sich die Eltern „sehr passiv“ in der Mitarbeit verhalten. Oft nehmen Eltern dann unser Angebot dankend an und es kommt wieder „Bewegung“ in die Situation.
Sowohl die Schule als auch die Eltern bekommen dadurch die Sicherheit, dass ihr jeweiliges Anliegen bei „der anderen Seite“ ankommt und verstanden wird. Des Weiteren bekamen wir die Rückmeldung, dass Kontakte regelmäßiger und verlässlicher wahrgenommen werden mit unserer Unterstützung.
Wie erreichen Sie die Eltern?
Da unser niedrigschwelliges Angebot auf Frreiwilligkeit beruht, erreichen uns zumeist die Eltern. Der Kontakt wird in vielen Fällen über die Mitarbeitenden der Grundschulen (Lehrkräfte, Hort, Schulsozialarbeit), über das Jugendamt oder über Beratungsstellen hergestellt. Gelegentlich melden sich auch Eltern, die nicht von einer Institution auf uns aufmerksam gemacht werden, sondern quasi von selbst den Weg zu uns gefunden haben.
Was geben Sie aus Ihrer Erfahrung anderen Elternbegleiterinnen und Elternbegleitern in Bezug auf Grundschulen weiter?
In der Arbeit mit Familien und Eltern sollte man eine positive Grundhaltung einnehmen und sich dessen bewusst sein, dass alle Eltern stets das aus ihrer Sicht Beste für ihre Kinder wollen.
Es lohnt sich dabei immer die Perspektive der Eltern einzunehmen und davon auszugehen, dass jeder Mensch für sein Tun stets aus der eigenen Sicht heraus plausible Gründe hat.
Oft lasten im Alltag eine Vielzahl an ungelösten Problemen auf den Schultern der Eltern. Wenn wir als Elternbegleiterinnen bzw. Elternbegleiter es schaffen, die Eltern beim Lösen der Probleme zu unterstützen, dann tragen wir auch dazu bei, dass die Eltern wieder die Kraft haben, ihre Kinder (nicht nur, aber auch) in der Schule zu unterstützen.