Ingrid Bethge
Juli 2021
Frau Bethge, was leisten Sie konkret als Elternbegleiterin für die Familien?
In unserem Mehrgenerationenhaus findet jede Woche das Weltfrauencafé statt. Hier sind wir als Elternbegleitung vor Ort und kommen mit den Familien niedrigschwellig ins Gespräch. Seit einem Jahr gibt es zusätzlich das Familiencafé in der Anschlussunterkunft für geflüchtete Familien, das sich nicht nur an die Mütter, sondern auch an die Väter richtet. Uns ist es wichtig, die Menschen zu verbinden – mit der Stadt und untereinander. Nur so können sie richtig bei uns ankommen. Wir bieten ihnen ein offenes Ohr für all ihre Fragen und Nöte. Die Bildung ihrer Kinder ist den Eltern dabei wichtig. Häufig geht es aber zunächst um viel allgemeinere Dinge, zum Beispiel, dass die Tochter oder der Sohn keinen Anschluss zu anderen Kindern findet. Wir können den Familien mit zahlreichen Informationen und Anlaufstellen zu den verschiedenen Themen weiterhelfen. Außerdem begleiten wir sie bei Behördengängen oder helfen beim Ausfüllen von Formularen. Auf lange Sicht legen wir jedoch Wert darauf, die Eltern zum selbstständigen Handeln zu befähigen, damit sie nicht dauerhaft auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Wir erhalten oft die Rückmeldung, dass sie sehr glücklich sind, wenn sie Dinge endlich selbst erledigen können. Dabei ist natürlich auch wichtig, dass sie sich verständigen können. Damit die Familien Deutsch lernen und sich vor allem trauen, in der Fremdsprache zu sprechen, schaffen wir viele gemeinsame Redeanlässe, am besten in gelöster und guter Atmosphäre wie bei unseren Cafés.
Welchen Mehrwert hat Elternbegleitung für die Einrichtungen?
In der Qualifizierung zur Elternbegleiterin und zum Elternbegleiter haben wir gelernt, wie wir auf Familien zugehen können, aber auch, wie wir uns selbst zurücknehmen und immer wieder neu aufmerksam sind, in welchem Tempo die Eltern ihre Themen angehen wollen. Außerdem nehmen wir bei unserer Arbeit das ganze System Familie in den Blick, nicht nur die Kinder oder nur die Eltern. Wir sind gut im Sozialraum vernetzt und können passgenaue Hilfen anbieten. Darüber hinaus schaffen wir Angebote, für die sonst die zeitlichen und personellen Ressourcen fehlen würden. Von dieser Unterstützung und Entlastung profitieren die Einrichtungen – ob das Mehrgenerationenhaus beim Weltfrauencafé oder die Kitas, in denen Elternbegleiter*innen tätig sind. Jetzt ist es beispielsweise gelungen, dass einige Familien mit Fluchthintergrund sich schon ganz aktiv beim Schulfest engagieren. So gelingt Teilhabe viel schneller und alle haben etwas davon – die Familien, die Kitas und Schulen sowie die Stadt.
Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf Ihre Arbeit aus?
Corona macht die Zusammenarbeit mit den Familien natürlich nicht einfacher. Der direkte Austausch im Weltfrauen- oder Familiencafé kann nicht mehr stattfinden. Wir stehen den Familien deswegen telefonisch bei Fragen und Problemen zur Seite. Um auch jetzt einen niedrigschwelligen und lockeren Zugang zu den Familien zu finden, haben wir ein internationales Kochbuchprojekt gestartet. Alle Familien, die wir sonst in den Cafés treffen, können ein Rezept aus ihrer Heimat beisteuern. Das schafft ein Gemeinschaftsgefühl unter den Familien, auch wenn wir uns aktuell nicht treffen können: Egal wie unterschiedlich wir sind, können wir daraus gemeinsam etwas Tolles machen. Wenn wir als Elternbegleitung die Familien kontaktieren, haben wir direkt ein Gesprächsthema: Was bedeutet dir dieses Rezept? Wo bekommt man denn dieses besondere Gewürz? Im Anschluss können wir dann auch auf ernstere Themen eingehen und fragen, bei welchen Herausforderungen wir die Familien unterstützen können.
Wo sehen Sie die Elternbegleitung in fünf Jahren?
Vorausgesetzt, die finanziellen Mittel stehen weiterhin zur Verfügung, sollte in jeder Kita eine Elternbegleitung tätig sein. Auch in den Schulen wäre das sinnvoll. Das stand bisher noch gar nicht so sehr im Fokus. Elternbegleiter:innen könnten aber die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus verbessern. Da treffen häufig unterschiedliche Erwartungen aufeinander und es kommt zu Missverständnissen zwischen Eltern und Lehrer:innen. Sprachliche und finanzielle Hürden schaffen Barrieren von beiden Seiten und letztendlich trifft es die Kinder aus Familien mit kleinem Einkommen oder mit Migrationshintergrund. Elternbegleiter:innen kennen die staatlichen finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten. Sie könnten zudem gut als Brückenbauer:innen und Bindeglieder zwischen Schule und Familie moderieren und so mitwirken, dass die Kinder in angenehmer Atmosphäre lernen und aufwachsen können.