Annika Ahrens
Familiengrundschulzentren schaffen gute Startbedingungen durch die Grundschulzeit.
Mai 2023
Annika Ahrens ist Diplom-Sozialpädagogin und koordiniert seitens des Jugendamtes Familiengrundschulzentren in Mönchengladbach. Sie verfügt über mehr als 13 Jahre Erfahrung in der (über)örtlichen Netzwerkarbeit und Koordination von präventiven Jugendhilfeangeboten in Kooperation mit den Bildungseinrichtungen Kita und Grundschule. Heute stellt sie uns das Format Familiengrundschulzentrum vor.
Wie würden Sie ein Familiengrundschulzentrum in wenigen Sätzen erklären?
Familiengrundschulzentren fördern den weiteren Ausbau eines multiprofessionellen Netzwerks zur Unterstützung von Familien im Sozialraum und bündeln verschiedene, insbesondere präventive Angebote an der Grundschule. Nach dem Vorbild der Familienzentren an Kitas, werden in Familiengrundschulzentren vielfältige Angebote für Kinder, Eltern und Familien an und im Umfeld von Grundschulen angeboten. Das Familiengrundschulzentrum fördert mit Angeboten für Eltern und Kinder aus dem Stadtteil mit kurzen Wegen sowie für Familien, deren Kinder eine andere Grundschule besuchen, die Willkommenskultur der Grundschule. Man kann auch sagen, es ist ein Knotenpunkt der Begegnung, Beratung und Bildung mit einer Vielfalt von niederschwelligen und bedarfsbezogenen Angeboten für Familien.
Wer profitiert am meisten von der Entwicklung einer Grundschule zum Familiengrundschulzentrum?
Wir haben bei uns in Nordrhein-Westfalen schon seit 2016 über Landesmittel geförderte Kitas, die mehr als Kita sind. Sie stellen eine Familienzentrum-Kita dar. Gerade in sozial belasteten Standorten haben wir mit früher Beratung, Information und Unterstützung sehr gute Erfahrungen gemacht, Erziehungskompetenzen von Eltern zu stärken. Es handelt sich um Regeleinrichtungen, in die Eltern ihre Kinder ohnehin täglich hingeben, wo sie auch Vertrauen genießen. Die Zugangsstrukturen sind bereits vorhanden. Es bietet sich an, Angebote für Familien dort zu verankern. Von Armut bedrohte oder betroffene Familien profitieren sehr von Familiengrundschulzentren.
Unsere Nachbarkommune Gelsenkirchen hat als Vorreiter 2015 begonnen Familiengrundschulzentren einzurichten. Mönchengladbach bildet im Zusammenschluss mit mittlerweile über 30 anderen Kommunen seit 2019 die „Initiative Familiengrundschulzentren NRW“, welche zwei Stiftungen ins Leben gerufen haben. Wir tauschen uns dort regelmäßig über ein ganz neues Handlungsfeld aus, entwickeln es weiter und nutzen so den Rahmen, das Thema über die Stiftungen weiter in politische Zusammenhänge zu bringen.
Ist die „Initiative Familiengrundschulzentren NRW“ in den kommunalen Strukturen also bereits etabliert?
Die Familienzentrum-Kita übertragen wir auf die nächste Bildungsinstitution Schule. Dieser Handlungsansatz wird von den zwei Stiftungen unterstützt - das Bildungsministerium und Familienministerium davon zu überzeugen. Inhaltlich zukünftig alles auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ist anspruchsvoll und aktuell noch kommunal verschieden. Die Kommunen sind vom Haushalt her und personell anders aufgestellt. Somit haben sie verschiedene Möglichkeiten, um das ganze Themenfeld auszustatten und voranzubringen.
Für die Umsetzung ist es wichtig, dass es einen einheitlichen Qualitätsrahmen gibt und eine finanzielle Langzeitperspektive für die Einrichtung der Familiengrundschulzentren. Das ist ein Prozess und der ganze Prozess läuft bei uns unter dem Titel „Initiative Familiengrundschulzentren NRW“.
Welche Rolle haben die beiden Stiftungen in der „Initiative Familiengrundschulzentren NRW“? Und wie sieht es mit der Finanzierung aus?
Die beiden Stiftungen bieten einen fachlichen Rahmen an. Sie ermöglichen überregionale Netzwerke sowie Strukturen der Zusammenarbeit und bieten Fachveranstaltungen an. Was die Finanzierung angeht, gibt es in NRW zwei Förderprogramme. Auch sie bieten eigene Themenformate, Arbeitskreise und Fortbildungen für das Handlungsfeld „Familiengrundschulzentren“ an. Eines davon heißt „Kinderstark - NRW schafft Chancen“, auf die Förderung können sich Kommunen bewerben. Darüber hinaus gibt es auch kommunal eigenständig finanzierte Familiengrundschulzentren.
Im bundesweiten Vergleich ist NRW Vorreiter, was Familiengrundschulzentren angeht. Was geben Sie anderen Bundesländern oder Kommunen für die Einrichtung der Familiengrundschulzentren an die Hand?
Die Einbettung in bestehende sozialräumliche und schulinterne Strukturen, eine frühzeitige Beteiligung der unteren Schulaufsicht sowie klare schulinterne Rollenabgrenzungen sind bei der Entstehung eines Familiengrundschulzentrums entscheidend. Die weiteren kommunalen Beitritte offene Initiative, die gerne Wissen vermehrt, bietet einen guten landesübergreifenden Transfer in dieses Handlungsfeld. Die Familiengrundschulzentren NRW sind über die Kommune mit Personal ausgestattet, welches den Prozess der Entstehung der Familiengrundschulzentren fördert.
Ich koordiniere seitens des Jugendamtes neun Grundschulen auf dem Weg zum Familiengrundschulzentrum. Alle neun Grundschulen bekommen wiederum aus meinem Jugendamtsteam eine eigene Koordination bereitgestellt, um den Prozess voranzutreiben. Das Förderprogramm „Kinderstark – NRW schafft Chancen“ enthält eine Personalförderung. Ansonsten haben wir kommunale Mittel, die das tragen. Das wurde schon bei uns im Haushaltsplan verankert, dass unbefristete Stellen eingerichtet werden konnten und zwar sehr zielgerichtet für die Familiengrundschulzentren. Es handelt sich also um eine strategische Zielrichtung mit einer Verankerung im Jugendamt, um unsere kommunale Präventionskette zu erweitern.
Das Ziel unseres Jugendamtes ist „Prävention vor Intervention“. Gleichzeitig arbeiten wir mit Schule und Schulamt eng zusammen. Da geht's natürlich um die Förderung von Bildungschancen und -gerechtigkeit.
Von wem aus sollte die Initiative gehen, ein Familiengrundschulzentrum zu gründen, damit es erfolgreich zustande kommt?
Im Jugendamt haben wir über den Rat der Stadt einen politischen Auftrag bekommen. Dann sind wir frühzeitig auf alle relevanten Akteure zugegangen, wie zum Beispiel die Schulaufsicht. Die Idee war, in die Stadtgebiete mit der Verstärkung reinzugehen, wo die ökonomische Belastung am höchsten ist. Dann sind wir auf die einzelnen Schulleitungen zugegangen. Entscheidend ist, dass die Schule erstmal die Idee kennenlernt und über die Schulkonferenz eine mögliche Kooperation mit dem Jugendamt entscheidet. Wenn die Absicht ist, diese Ziele zu verfolgen, dann wird das Haus Schule von der Kommune vom Jugendamt mit der Personalie „Koordination Familiengrundschulzentrum“ ausgestattet. Wichtig ist, dass die Strukturen der Schule beachtet werden, dass die Schule eine offene Ganztagsschule ist, in welcher wir seitens des Jugendamtes bereits über die Personalie „Kommunale Schulsozialarbeit“ mit der Schule in Kooperation stehen. Eine regelmäßige Bedarfsabfrage bei Kindern, Eltern und Lehrkräften haben wir konzeptionell verschrieben.
In enger und ständiger Abstimmung mit der Schulleitung werden seitens der „Koordination Familiengrundschulzentrum“ Angebote für Eltern und Kinder geplant und umgesetzt, diese werden auch online beworben und über adressatengerechte Programmhefte aktuell gehalten. Die „Koordination Familiengrundschulzentrum“ leistet auch für diesen laufenden Entwicklungsprozess als Familiengrundschulzentrum fortlaufende „Übersetzungs- und Motivationsarbeit“ gegenüber den Lehrkräften, welche unter massivem Lehrkräftemangel leiden und tagtäglich anspruchsvolle Elternarbeit leisten.
Wie sieht der Alltag im Familiengrundschulzentrum aus? Wie kommt die „Familie“ in die Grundschule? Gibt es dazu spezielle Angebote und wie erreichen Sie die Eltern?
Als „Herzstück“ eines Familiengrundschulzentrums bieten wir für Eltern regelmäßig das Format Elterncafé als niederschwelliges Angebot an, welches ihnen über die Schulpost und persönliche Ansprachen bekannt gemacht wird. Im Elterncafé ermöglichen wir Begegnung. Das Elterncafé ist Themen-offen, teilweise kommen Akteure aus der Stadt und informieren über spezielle Themen, bspw. den Übergang von der Kita in die Schule für Schulneulinge.
Die niederschwelligen Angebote erreichen eine Vielfalt von Herkunftsfamilien: Deutschkurs, Nähkurs, Fahrradreparaturwerkstatt, gesundes Frühstück, wir kooperieren auch beispielsweise mit dem Wochenmarkt um die Ecke.
Werden Familiengrundschulzentren besser angenommen als Familienzentren, die nicht an Bildungseinrichtungen gebunden sind?
Viele Eltern kennen das Prinzip Familienzentrum-Kita und sind hoch erfreut, wenn sie erfahren, dass die Grundschule ein Familiengrundschulzentrum ist. Für die nächsten Jahre ist die Grundschule der Lebensraum ihrer Kinder und es ist sehr hilfreich, dass Eltern im Rahmen der Erziehungspartnerschaft mit Lehrkräften eng zusammenarbeiten. Das Familiengrundschulzentrum öffnet sich dem Sozialraum, Angebote finden auch in der benachbarten Kita oder Bibliothek statt. Wesentlich ist die Haltung der Schulleitung und des Kollegiums und die Zusammenarbeit im Netzwerk.
Elternbegleiter:innen sorgen dafür, dass die Kurse laufen und beworben werden. So schaffen wir gute Startbedingungen für die Grundschulzeit.
Mehr über die „Begleitung von Eltern mit Grundschulkindern – Wie die Zusammenarbeit mit Familien gelingt“ erfahren Sie in der gleichnamigen Broschüre des Kompetenzteams „Frühe Bildung in der Familie“ an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB).
Weitere Informationen zu Familiengrundschulzentren in Mönchengladbach finden Sie online unter www.stadt.mg/fgsz
Das Interview mit Annika Ahrens können Sie erstmals als Audio anhören.
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